„Antifragilität” von Nassim Nicolas Taleb – Eine Rezension

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Grosse Krisen können uns grösser und besser machen als zuvor – aber nicht mittels Optimierung, Prognosen und Risikomessung. Was Taleb stattdessen vorschlägt.

„Antifragilität” von Nassim Nicolas Taleb – Eine Rezension
 

Über Nassim Taleb

Der Autor von „Antifragilität”, 2014 zuerst erschienen, hat lange als Händler in der konventionellen Finanzbranche gearbeitet. Die Werke „Narren des Zufalls” und „Der schwarze Schwan” befassen sich vor allem mit Beobachtungen rund um die große Finanzkrise 2008/2009 und deren Unvorhersehbarkeit. Nach seiner Zeit als Händler, Buchautor, Hedgefondsmanager und zuletzt Akademiker hat er sich in seine physische und kulturelle Heimat Libanon zurückgezogen und die philosophische Idee hinter seinen Erkenntnissen weiterentwickelt.
 

Über „Antifragilität”

Nach Taleb gibt es drei Varianten, mit Antifragilität umzugehen: Entweder wir schlittern hinein und müssen die Folgen ausbaden. Oder wir machen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten krisenfest, sorgen zum Beispiel für Redundanzen oder diversifizieren. Das wäre die robuste Strategie. Die dritte Alternative aber ist die große Kunst und Talebs Thema: Wir könnten von unvorhersehbaren Krisen profitieren. Dann wären wir „antifragil” aufgestellt. Diesen Begriff prägt tatsächlich Taleb als Erster. Eine Krise könnte uns, unsere Art oder die ganze Welt gestärkt aus einer Krise hervorgehen lassen.

Dass eine solche Strategie mit herkömmlichen Methoden des Risikomanagements nicht erreichbar ist, legt Taleb recht überzeugend und mit einer gehörigen Portion Verachtung gegenüber Aufsichtsbehörden, Zentralbanken, Konzernlenkern, Wirtschaftswissenschaftlern und Unternehmensberatern dar.

Antifragilität könne nicht mehr oder weniger eingesetzt werden, sondern müsse bereits im System vorhanden sein – idealerweise aufgrund von Erfahrungswerten. Die exakte Risikomessung, etwa wie Banken sie einsetzen oder wie sie Fondsmanager zur Portfolio-Konstruktion nutzen, böten keinen Schutz gegen Krisen.

Der Autor stellt zudem eine sehr wichtige ethische Regel auf: Die antifragile Strategie dürfe nicht auf Kosten der Gemeinschaft gehen. Konzernlenker, die erst ihr Unternehmen ruinieren und danach prima mit einer Millionen-Abfindung weiterleben, verurteilt er sehr deutlich. Echte Unternehmer seien dagegen schon aus Eigeninteresse eher antifragil unterwegs.

Dabei lehnt Taleb Wissenschaft nicht grundsätzlich ab. Der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper etwa kommt bei ihm gut weg. Taleb wendet sich nur gegen die Illusion, dass Modelle langfristig tragfähige, sichere Ergebnisse für Ertrag und Risiko liefern würden.
 

Bedeutung von Antifragilität für Anleger

Taleb gibt in seinem Buch keine Rezepte mit, wie man sich in der Geldanlage gegen massive Krisen absichern kann – auch wenn er selbst aus der Finanzbranche stammt. Seine Philosophie lässt sich aber in praktische Ratschläge umsetzen:
  1. Robuste Portfolios
  2. Nicht auf Prognosen setzen
  3. Erfahrungen nutzen
  4. Kein Hedging möglich

Robuste Portfolios

Anlegern im Finanzmarkt bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten, sich gegen Krisen abzusichern. Robuste Portfolios lassen sich am einfachsten durch breite Diversifikation erstellen, auf unterschiedliche Werte und vor allem Anlageklassen wie Aktien, Anleihen, Gold und Rohstoffe. Allerdings sind solche robusten Portfolios nicht antifragil im Taleb’schen Sinne.

Eine robuste Strategie bedingt, dass Anleger nicht ihr gesamtes Vermögen im Finanzmarkt investieren. Sie sollten auch Unternehmensbeteiligungen, Immobilien und andere eher krisenfeste Besitztümer oder Befähigungen in Betracht ziehen. Taleb trainiert sogar seinen Körper, um handfeste Krisen besser meistern zu können.
 

Nicht auf Prognosen setzen

Prognosen basieren auf statistischer Modellierung. Unerwartete Krisen lassen sich aber nicht in Modelle einbauen. Weder künftiges Risiko noch künftige Erträge ließen sich daher langfristig vorhersagen, da die Pfade immer wieder durch massive Krisen unterbrochen würden – die mehr Wert vernichten als vorher anhand von Optimierungen geschaffen wurde.

Prognosefreie Investment-Strategien würden dagegen nicht optimiert, sondern basieren auf Erfahrung und Beobachtung. Wenn die Beobachtung lautet, dass die US-Volkswirtschaft trotz aller Krisen langfristig wächst und die US-Amerikaner nicht aussterben, dann wäre ein Investment in den S&P 500 sinnvoll. Diese Idee klingt nach Taleb, stammt aber von John Bogle, dem Gründer des ersten Indexfonds und der Firma Vanguard.

Dies hat eine andere Qualität, als aus einer Volatilität von fünf und einer Rendite von vier Prozent pro Jahr auf zukünftige Erträge in eben dieser Höhe zu schließen. Solche Angaben kennen wir nur zu gut von aktiven Fondsmanagern und Fondsselektoren, aber auch von den aktuellen Robo-Advisors.
 

Erfahrungen nutzen

Reine Statistik, so sauber sie auch durchgeführt wird, basiert immer auf Daten aus der Vergangenheit. Manche Asset Manager sprechen bei ihren Investment-Ansätzen dann von streng wissenschaftlichen Erkenntnissen. Werden aber aufgrund derartiger Statistiken Anlageentscheidungen oder Risikobeurteilungen vorgenommen, so müssen diese immer überprüft werden: Gibt es auch in der realen Welt einen feststellbaren Zusammenhang oder nur in der Finanzwelt? Gibt es Ursachen, die sich ausmachen lassen? Welche Zeiträume wurden abgebildet? Nach Taleb müssten die Erfahrungen auch aus Zeiträumen über mehrere Krisen hinweg gewonnen werden.

Denkbar sind also Betrachtungen über sehr lange Zeiträume, zum Beispiel bei der Aufteilung des Vermögens auf mehrere Assetklassen, ergänzt um eine schonungslose Analyse des Status Quo.
 

Kein Hedging möglich

Taleb selbst hat nach der großen Krise 2008/2009 einen Hedgefonds gestartet, der von Krisen profitieren sollte. Dies könnten Anleger beispielsweise mit Short-Strategien umsetzen. Meist werden dazu Options-Strategien genutzt. Short-ETFs einzusetzen und bis zum großen Knall im Portfolio liegen zu lassen, wäre ebenfalls eine Option.

Diese Strategien kosten jedoch außerhalb der Krise eine Menge Geld und bergen im normalen Marktverlauf erhebliche Risiken. So ging mangels Krise auch dem Taleb-Fonds das Geld aus.

So wenig wie das Ausmaß lässt sich auch der Eintritt der Krise prognostizieren, das hat Taleb selbst eingesehen. Eine langfristige Hedging-Strategie kann daher nur durch Zufall funktionieren.
 

Hintergrund: Taleb über Krisen

Dass es Krisen gibt, die niemand (auch kein Quanten-Computer) kausal korrekt vorhersagen kann, hat Taleb bereits in seinen vorhergehenden Büchern umfassend beschrieben. Wenn auch Zusammenhänge in Theorien und Modellen beschreibbar sein mögen. Die ganze akademische Wissenschaft befasst sich schließlich damit.

Extreme Ausschläge einzelner Parameter können die Modelle allerdings niemals abbilden, zumal sich die kausalen Zusammenhänge schnell in nicht-linearen Verhältnissen zueinander entwickeln und buchstäblich unkalkulierbar werden.

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich mehrere Faktoren parallel entwickeln, wie in der Finanzkrise, der Aktienkrise und der Staatsschuldenkrise. Weder die Portfoliotheorie noch gängige Risikomodelle haben frühzeitig Alarm geschlagen. Solch eine Komplexität ist nicht planbar. Als weiteres Beispiel könnte Fukushima dienen: Das Atomkraftwerk war gegen viele Ereignisse gesichert, nicht aber gegen die Kombination von Wassereinbruch und Erdstoß.

Ebenso können Schocks auftreten, die weder in bisherigen Denkmodellen noch in ihren Theorien und Modellen vorkommen. Das ist das Beispiel des „Schwarzen Schwans”, der in der Denkwelt nicht existierte, bis Entdecker auf ihn stießen und mit eigenen Augen sahen. Ein anderes passendes Bild ist das Leben des Truthahns, das sehr gut in die Finanzwelt passt: Das Gewicht des Truthahns nimmt regelmäßig zu, die Volatilität ist gering, seine Zuversicht groß. Er rechnet zweifellos damit, schön regelmäßig an Gewicht zuzunehmen. Bis die Wohlfühlphase tödlich endet – abrupt und für den Truthahn nicht vorhersehbar.
 

Krisen in Philosophie und Gesellschaft

Nicht immer geht es nur ums Geld. In anderen Fällen können solche Krisen ganze Gesellschaft und deren Frieden, oder natürliche Arten betroffen sein – inklusive den Menschen.

An Krisen zu wachsen sei in der Natur jedoch vorhergesehen. Die Evolution habe laut Taleb immer wieder gezeigt, dass sie Lösungen bietet auf wirklich große Katastrophen wie etwa den Meteoriten-Einschlag im Zeitalter der Dinosaurier. Die DNA und ihre Vielgestaltigkeit habe heute mehr Arten hervorgebracht als damals auf der Erde lebten.

Auf gesellschaftlicher Ebene schlägt Taleb vor, mehr auf dezentrale und unterschiedliche Strukturen zu setzen. Sein Lieblings-Beispiel eines stabilen Staats ist die Schweiz mit ihrer föderalen Struktur.

Zentralisierte Strukturen würden in der Krise regelmäßig im Kollaps enden. Der Autor illustriert dies mit den politischen Regimen, die sich selbst als ewig (oder tausendjährig) propagiert haben – keines davon existiert heute noch. Neben den großen zusammengebrochenen Reichen der Antike zählt er auch die Europäische Union hinzu.

Interessierte Leser können dies und noch mehr in Talebs auch als E-Book verfügbaren Werk nachlesen. (Achtung: E-Book-Reader sind laut Taleb fragil!)
 
„Antifragilität” von Nassim Nicholas Taleb

„Antifragilität” von Nassim Nicholas Taleb

Unser Urteil: Ein echter Leckerbissen auch für Philosophie-interessierte Leser, da Taleb seine über Jahrtausende reichenden Quellen gut dokumentiert.
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Fazit: Talebs Ansatz ist auch für Philosophie-interessierte Leser ein echter Leckerbissen, da er seine über Jahrtausende reichenden Quellen gut dokumentiert.

Gleichzeitig erhebt er keinen Anspruch auf absolutes Wissen. „Antifragilität” zeichnet ein umfassendes Weltbild rund um Evolutionskrisen und gängige Philosophie-Ansätze. Die bisherigen Werke gehen darin auf. Für Anleger empfiehlt sich das Buch vor allem deswegen, weil der Autor aus der Finanzbranche kommt.
 
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